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04.01.2021

Gott ist wachsam. Die spirituelle Dimension der Schlaflosigkeit

Kein Auge zukriegen, obwohl man todmüde ist. Aus dem Tiefschlaf
gerissen werden, vielleicht sogar durch einen Albtraum, und nicht mehr
zur Ruhe kommen. Oder sich im gefühlten Gedankenkarussell drehen
bis zum Morgengrauen und dann mit eben diesem Grauen aufstehen –
viele Menschen kennen das. So eine Schlaflosigkeit kann stark
belastende körperliche und seelische Folgen haben. Doch kann man
nächtlichem fehlendem Schlaf auch etwas Positives abgewinnen?
Anders gefragt: Fordert Gott von uns Wachsamkeit, manchmal sogar
mitten in der Nacht?
Laut einer Online-Mitteilung von Bundesärztekammer und
Kassenärztlicher Bundesvereinigung aus dem Jahr 2020 haben rund
sechs von 100 Menschen in Deutschland Schlafprobleme. Kommen
diese mindestens dreimal pro Woche über einen ganzen Monat vor,
sprechen Fachleute von einer Schlafstörung. Dann wird Betroffenen
geraten, sich behandeln zu lassen, und die Angebote sind vielfältig,
angefangen von Kräuterheilkunde über chemische Medikamente bis hin
zu psychotherapeutischen Sitzungen.
Unser Leben und damit auch unser Schlafrhythmus haben sich massiv
verändert. Wir sind durch so viele gesellschaftliche Einflüsse gefordert,
dass unser Körper nicht mehr gut mit kommt. Wir haben verlernt, mit
den natürlichen Jahres- und Tageszeiten zu leben, wie wir das in
unserer Evolution über Jahrtausende gewohnt waren. Viele
Millionenstädte auf der ganzen Welt leuchten nachts künstlich heller als
am Tag. Die Maschinen und Computer der Industrie laufen nahezu
pausenlos. Und wer im Schichtdienst arbeitet, weiß, dass ein
regelmäßiger erholsamer Schlaf fast ein Ding der Unmöglichkeit ist.
Wo ist sie geblieben – die Faszination der stillen tiefen Dunkelheit? Das
Sich-Loslassen, ganz buchstäblich in unseren Gelenken, Muskeln und
Nerven? Die Hingabe an unsere Seelenbilder und Träume?
In der Bibel finden wir ungezählte Geschichten zum Schlafen und
Wachsein. Schauen wir nur auf zwei Beispiele: Der Prophet Jona schläft
auf seiner Flucht nach Tarsis im Unterdeck des Bootes seelenruhig,
während oben die Schiffsleute in einem bedrohlichen Unwetter Angst
haben, im Meer unterzugehen (Jon 1,5). Wir kennen die Geschichte:
Gott hat etwas anderes mit Jona vor und er nutzt die Gewalten der
Natur, um Jona nicht nur zu wecken, sondern buchstäblich
wachzurütteln für seine Aufgabe.

Auch die Psalmenschreiber kennen das Thema nur zu gut, wird Gott
darin doch gebeten, angesichts tiefer Sorgen Schutz und Erholung im
Schlaf zu schenken (Ps 3,6; Ps 4,9 und viele andere).
Das Gegenteil von Schlaf ist im Neuen Testament ein entscheidender
Faktor christlichen Lebens: Sehr oft mahnt Jesus in den Evangelien zur
Wachsamkeit, auch die Verfasser der Apostelbriefe tun es. Ein Beispiel
lesen wir bei Markus im 13. Kapitel, Verse 33ff: So wacht nun; denn ihr
wisst nicht, wann der Herr des Hauses kommt, ob am Abend oder zu
Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder am Morgen, damit er euch
nicht schlafend finde, wenn er plötzlich kommt.
Vielleicht mögen Sie beim Lesen einmal nachspüren, welche der
ausgewählten Beispiele Sie spontan ansprechen. Mich fasziniert diese
Polarität zwischen Schlaf und Wachsein. Ich selbst schlafe sehr gern
und meistens tief. Ich kenne aber auch Phasen, in denen ich mitten in
der Nacht aufwache und nicht mehr einschlafen kann, weil ich das
Gefühl habe, trotz Dunkelheit innerlich hellwach zu sein.
Statt mich unruhig hin und her zu wälzen, habe ich mir angewöhnt, es
dann mit dem kleinen Samuel zu halten, wie es jene Geschichte aus
dem 1.Buch Samuel (Kap.3) so einfühlsam schildert. „Rede, Herr, dein
Diener hört“, sagt der Junge, als er verstanden hat, wer der nächtliche
dreimalige Ruhe-Störer ist. Von da an weiß er um seine Aufgabe.
„Rede, Herr, deine Dienerin hört“, erlaube ich mir jenen Vers
abzuwandeln und versuche mich dann auf das zu besinnen, was mir in
der Hektik manchen Tages vielleicht nicht bewusst geworden ist.
Wir wissen: Unerledigtes, Ungeklärtes nehmen wir oft mit in den Schlaf.
Unser Unterbewusstsein bearbeitet es weiter, egal, ob es sich um ein
aktuelles Ereignis handelt oder ein Problem, das uns vielleicht schon
länger beschäftigt. Man kann auch mitten in der Nacht, dann, wenn
einen sonst nichts ablenkt, den berühmten Geistesblitz haben, eine
plötzliche Idee. Manchmal geht mir das so, und dann stehe ich auf und
schreibe einen neuen Artikel, weil der Gedankenfluss jetzt da ist und
verarbeitet werden will.
Um es noch einmal zu verdeutlichen: Dauerhafte Schlafstörungen sind
sehr erschöpfend und bedürfen der Klärung und fachlicher
Unterstützung. Wer dagegen über einen kürzeren Zeitraum oder einfach
immer mal mitten in der Nacht aufwacht und nicht mehr einschlafen
kann, könnte dies als einen Ruf Gottes verstehen und die Gelegenheit
nutzen, mit ihm betend und meditierend in ein Zwiegespräch zu treten.
Denn Gott selbst ist wachsam, er behütet die Seinen im Schlaf, heißt es
dazu im Psalm 121 (Vers 4f): Siehe, der Hüter Israels schläft und

schlummert nicht. Der Herr behütet dich, er ist dein Schatten über
deiner rechten Hand.
Was möchtest du mir sagen, Gott, könnte eine Frage in die Stille hinein
lauten. Auf was möchtest du mich hinweisen, dass du mich mitten in
der Nacht weckst? Wo war ich am Tag nicht achtsam und aufmerksam
genug, dass ich deinen Ruf nicht wahrnehmen konnte? Mit solchen
Gedanken und der Bitte um Antwort nehmen wir uns den Ärger oder die
Enttäuschung über die Unterbrechung unseres Schlafes und
anerkennen, dass Schlaflosigkeit zu unserem Glauben dazu gehört.
Gleichzeitig sind wir aufgefordert, in einem tieferen Sinn wach zu
werden, wach zu sein, wach zu bleiben, damit wir uns gewiss werden,
wie wir leben wollen.



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