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04.01.2021

Wenn Fragen nicht beantwortet werden. Schweigen hat viele spirituelle Aspekte

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold sagt ein Sprichwort. Wir erinnern
uns daran in Situationen, in denen wir spüren, dass es besser ist, nichts
zu sagen und keine weitere Reaktion zu zeigen. Genauer betrachtet ist
Schweigen also eigentlich eine besondere Form der Kommunikation. Es
hat eine wichtige Aufgabe, nicht nur in unseren Beziehungen, sondern
auch in unserem spirituellen Leben.
Wir Menschen sind soziale Wesen, die im Austausch miteinander sind.
Das geschieht vor allem durch Worte. Im Laufe unserer Evolution hat
sich ein unermesslicher Verständigungsschatz entwickelt. Es gibt
ungezählte Sprachen über den gesamten Erdball, doch eines klingt in
allen Kulturen gleich: das Schweigen.
Für das Schweigen gibt es viele Gründe. Dabei sollte uns bewusst sein,
dass Schweigen etwas anderes ist als einfach nichts zu reden. Das
Schweigen hat eine tiefere Dimension.
Manchmal sind wir sprachlos, weil wir uns sehr verletzt fühlen durch die
Bemerkung eines anderen und uns wieder innerlich sammeln müssen.
Wir sind geschockt und ziehen uns erst einmal zurück. Oder uns fehlen
die richtigen Worte, um jemanden in seinem Leid zu trösten. Wir haben
vielleicht sogar Angst, etwas Falsches zu sagen und es hinterher zu
bereuen. Dann ist es gut, trotzdem still da zu sein, die Hand eines
Schwerkranken zu halten oder einfach jemandem in den Arm zu
nehmen und so zu zeigen: Du bist nicht allein.
Es gibt aber auch dieses Schweigen, das sich berechnend und kalt
anfühlt, zum Beispiel dann, wenn sich jemand nach einem Konflikt
jeglicher Klärung verweigert. Tatsächlich hat das oft etwas von einem
Machtspiel, vielleicht sogar mit dem Vorsatz, jemand anderem ganz
absichtlich totale Missachtung entgegenzubringen. Wenn wir uns durch
ein solches Angeschwiegenwerden missachtet fühlen, läuft unsere
innere Worte-Achterbahn auf Hochtouren. Wir überlegen hin und her,
ob oder was zu tun ist, wir erarbeiten uns eine Strategie, wir kämpfen
um unsere Würde. Je nachdem, um welche Situation es sich handelt,
kommt einer besser damit zurecht als ein anderer. Sensible,

tiefgründige Menschen leiden sehr und fühlen sich meist gedemütigt,
noch dazu, wenn auch auf inständiges Bitten keine Antwort vom
anderen kommt. Besonders bitter ist das, wenn langjährige oder
intensive Beziehungen auseinander brechen, Familienmitglieder nicht
mehr miteinander reden oder Opfer von Verbrechen keinerlei
Entschuldigung erhalten.
Auch Jesus kennt, obwohl er viel gesprochen und gelehrt hat, das
Schweigen in allen Facetten. Er schweigt provokativ in der Erzählung
von der Ehebrecherin (Joh 7,53ff), indem er auf die Fangfragen der
Gesetzeslehrer nicht reagiert, sondern stattdessen mit dem Finger auf
der Erde schreibt. Das ist eine starke Geste, eine Demonstration seiner
mentalen Macht. Er schweigt aber auch, weil er einfach Ruhe braucht,
nachdem er unter vielen Menschen war und Zeichen getan hat (etwa
nach der Brotvermehrung bei Johannes, Kapitel 6). Das sind
Verhaltensweisen, die wir in abgewandelten Formen unseres Alltags
sicher auch selbst kennen und schon so praktiziert haben.
Das für mich eindrücklichste Schweigen Jesu findet sich in den Kapiteln

über seinen Prozess vor dem Hohen Rat und vor Pilatus. Das Markus-
Evangelium erzählt in Kapitel 15 von vielen Anklagen gegen Jesus.

Doch dieser gibt schließlich keine Antwort mehr (Vers 5). Noch
dramatischer sind die Verse im Johannes-Evangelium im 19. Kapitel.
Dort fordert Pilatus Jesus nahezu bedrängend auf, mit ihm zu sprechen
– und zwar mit dem Hinweis auf die Macht, die er, Pilatus, über Jesus
hätte.
Aber letztlich kann auch die machtvolle Obrigkeit Jesus nicht zum
Reden zwingen. Er bleibt seinem Weg treu, indem er sich seiner
Bestimmung hingibt und sich ganz und gar in sein Schicksal fügt. Er
zeigt Demut und Würde gleichermaßen. Es gibt aus seiner Sicht nichts
mehr zu diskutieren oder zu argumentieren.
Auch wenn wir hoffentlich in unserem Leben niemals in eine derart
existenzielle Situation kommen mögen: Es tut gut, sich diese Bibelstelle
immer wieder mal in Erinnerung zu rufen. Wer hat sich nicht schon
symbolisch auf einer Anklagebank wiedergefunden, durch ungerecht
empfundene Anschuldigungen in unseren Beziehungen, sei es im
privaten Umfeld oder am Arbeitsplatz. Wer ein reines Gewissen hat,
braucht sich nicht rechtfertigen. Schweigen ist dann die edelste Form
der Kommunikation, eben das anfangs zitierte Gold.
Aber vergessen wir nicht: Auch Jesus erhofft sich schließlich in der
Bedrängnis seines gewaltsamen Sterbens eine Antwort. „Mein Gott,
mein Gott, warum hast du mich verlassen“ – das sind die ersten Verse

des Psalms 22, die Jesus der Überlieferung nach Markus betet (Mk
15,34). Wir wissen: Am Ende führt der Psalm in das Vertrauen auf
Gottes großes Wirken und der Psalmist schreibt im Vers 22: „Du hast
mir Antwort gegeben.“
Gehen wir noch einmal zurück zum Wunsch nach Antworten für unser
Leben: „Gott, nimm meine Fragen mit deiner Hand von mir wie Fieber“,
bat einst der Dichter und Autor Antoine de Saint-Exupéry. Offensichtlich
spürte er, wie zermürbend sie waren, wie viel Kraft sie ständig
kosteten. So wie ein Fieber, das Körper und Seele nicht zur Ruhe
kommen lässt.
Wo wir keine Reaktion auf unsere großen Fragen bekommen, bleiben
uns zwei starke und klare Entscheidungen: Zum einen aufrichtig, mutig
und in Selbstliebe Ja zu dieser Situation zu sagen.
Wenn wir das üben, kann der Schmerz über ungeklärte Dinge
allmählich weniger werden. Wir können lernen, damit zu leben statt
weiter dagegen zu kämpfen.
Und zum anderen: Lassen wir uns doch ruhig auch ein auf die
Erfahrung, im Schweigen Gott zu begegnen und unsere fragende Leere
von Ihm füllen zu lassen. Das ist die spirituelle Dimension. Manchmal
braucht es sehr viel Zeit, bis uns im Nachhinein eine ganz andere Sicht
auf die Geschehnisse in unserem Leben bewusst wird.
Und: Wir können niemanden zwingen, mit uns zu reden oder sich uns
zu erklären. Unser Dasein ist nicht immer verstehbar, menschliches
Verhalten erst recht nicht. Letzte Antworten sind nicht von dieser Welt.



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