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07.03.2021

Liebeskummer lohnt sich doch

So lautet der Titel eines Buches des spirituellen amerikanischen Autors und Psychiaters Thomas Trobe. Das Buch war mir in einer tiefen existenziellen Krise meines Lebens eine echte Offenbarung – und einige Perlen an Erkenntnissen möchte ich weitergeben. Es geht dabei – erstaunlicherweise oder auch nicht – um die höchste, vielleicht schwierigste und gleichzeitig lebenswichtigste Beziehung überhaupt: der zu uns selbst – in Liebe, Achtsamkeit und innerer Freiheit. Und nein, das ist kein Widerspruch zu dem, was Jesus uns mitgegeben hat in seiner Aufforderung: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst…! WIE DICH SELBST! ... WIE… DICH… SELBST… Und warum: Weil jeder von uns derjenige Mensch ist, mit dem wir von der Geburt bis zum Tod, Tag und Nacht, jede Sekunde zusammen sind – mit uns SELBST! Sollten wir da nicht diese lebenslange und intensive Beziehung besonders gut pflegen und sie zu einer echten Liebes-Beziehung werden lassen?
Wann hast du dich zuletzt offen und ehrlich gefragt, wie sehr du dich liebst – mit all dem, was dich ausmacht, mit deiner Lebensgeschichte von klein auf, mit all deinen Stärken und mit all dem, was noch wachsen und reifen möchte in dir, egal, wie alt du bist? Wie viel Liebeskummer in der Beziehung zu dir selbst hat dich schon geplagt und dir schlaflose Nächte gekostet…? Und wie oft schon hast du deinen „Liebeskummer“ unglücklicherweise auf deinen Partner/deine Partnerin projiziert… auf dein Kind, deine Mutter/deinen Vater… den Kollegen, die Nachbarin oder einfach die blöde Kuh, die dir den dringend gesuchten Parkplatz vor der Nase weggeschnappt hat oder den Vollidioten, der dir die Vorfahrt genommen hat.
Wir verwenden viel Energie darauf, uns zu beschweren, wie schlecht uns unser/e LiebespartnerIn oder die Menschen in unserem Umfeld behandeln. Unser Ego sucht dann die Lösung im Außen: wir beschweren uns, beschuldigen die anderen, stellen Forderungen: der oder die andere soll doch etwas an seinem oder ihrem Verhalten bitteschön ändern, damit es uns wieder gut geht… oder wir versinken in Resignation, Frustration, Depression, Liebeskummer, Lethargie, Aktionismus… - doch keine dieser Strategien vermag etwas zu ändern an unserem „Problem“. Wenn wir SO vorgehen, ist Leiden die einzige Konsequenz. Denn (andere) Menschen ändern sich nicht, um unseren Ansprüchen zu genügen.
Stattdessen gilt es, unseren Fokus, unser Bewusstsein nach Innen zu wenden in Situationen, in denen wir uns verletzt oder nicht genügend beachtet fühlen und unsere "Vernachlässigungs- und Wertlosigkeitswunde" (Trobe) offen und ehrlich anzuschauen und nicht vor ihr davon zu laufen. Das erfordert Mut!
Die meisten von uns, wenn nicht gar wir alle, wurden in ihrer Kindheit nicht ausreichend genährt mit dem, was sie gebraucht hätten, und damit meine ich nicht körperliche Nahrung, sondern Nahrung für die Seele und eine starke, selbstbewusste Entwicklung. Den meisten, wenn nicht allen von uns, wurde in ihrer Kindheit zu verstehen gegeben, dass sie so, wie sie sind, nicht in Ordnung sind. Solche Botschaften erreichen uns Menschen auf vielen Wegen, in extremsten Fällen als Form von sexuellem, körperlichem oder seelischem Missbrauch. Aber auch subtiler in Form von Aussagen wie: „stell dich nicht so an!“, „reiß dich zusammen!“, „das schaffst du sowieso nicht!“ (ergänze für dich Sätze, die dir gerade in den Sinn kommen…).
Wie oft hast du dich in deiner Kindheit nicht wahrgenommen und nicht verstanden gefühlt mit dem, wie es deinem Wesen doch entsprochen hat…?
Die Botschaften kamen von außen: von unseren Eltern, von Geschwistern oder nahen Verwandten, Lehrern und Priestern zu uns, aber wir haben sie in unser Innerstes aufgenommen. Wir haben den Kontakt zu unserer eigenen Energie und Individualität, zu unseren Gefühlen nach und nach verloren und tragen eine tiefe Wunde der Wertlosigkeit mit uns herum. Den meisten von uns wird sie erst in der Lebensmitte bewusst, vielleicht durch eine gravierende Erfahrung von Mangel oder Verlust, und wir suchen uns, sofern wir dazu wirklich bereit sind, Hilfe in einer Therapie oder in einem Klinikaufenthalt – so war es auch bei mir selbst.
Und eine zweite tiefe Wunde ist in uns: Der Schmerz, verlassen und ausgesetzt zu sein. Die Angst, von der Quelle der Liebe abgeschnitten und getrennt zu sein, ist so überwältigend, dass viele sie gar nicht mehr spüren. Diese Wunde kommt jedoch ans Tageslicht, sobald wir einem Menschen nahekommen, uns gar verlieben, körperlich intim werden. Manchmal mag der Grund für diese Wunde ganz offensichtlich sein: weil ein Elternteil weggegangen oder früh verstorben ist oder körperlich oder emotional nie anwesend war. Für andere ist die Ursache nicht so klar. Trobe schreibt dazu in seinem Buch: „Vielleicht ist dieser Schmerz schon durch die Tatsache bedingt, überhaupt in einen Körper geboren und von der Einheit mit der Existenz getrennt zu sein. Was immer wir in der Kindheit an Ablehnung und Missbrauch erfahren haben, spiegelt nur den ursprünglichen Trennungsschmerz wieder, der einfach schon in der Erfahrung der Geburt begründet liegt.“
Trobe nennt das die größte Herausforderung überhaupt, eine ständige Meditation: es geht darum, sich der Angst gegenüber zu öffnen, nicht das zu bekommen, was man möchte – und gegenüber all den anderen Befürchtungen, die damit zusammenhängen… diese Angst wahrzunehmen, zu akzeptieren und sich dafür zu entscheiden, bewusst in sie hineinzugehen.
Jede Erfahrung einer tiefen Enttäuschung mit einem anderen Menschen (und partnerschaftliche Beziehungen sind da wohl am intensivsten betroffen) löst eine unmittelbare Reaktion nach außen aus, mit der wir versuchen, etwas zu verändern oder den anderen zu verändern, der uns diese Enttäuschung angetan hat… LOSLASSEN bedeutet, unseren Blick nach innen zu richten und ganz und gar bei uns selbst zu bleiben und wahrzunehmen, was die Situation in uns auslöst.
Trobe spricht von einem Wechsel aus der Jockey-Position in die Sattel-Position, also die Energie, die nach oben und vorne gerichtet ist mit dem Ziel, etwas zu verändern stattdessen mit in den Sattel, in den Schoß mitzunehmen, sich in eine Art inneren Sessel niederzulassen und uns so selbst genügend Zeit zu geben, auf eine Situation zu reagieren – und zwar ganz egal, wer die Situation ausgelöst und somit eine Wunde in uns berührt hat: Freund, Liebespartnerin, Arbeitskollege, Nachbarin… Wenn wir lernen, das Ereignis vom Auslöser über unsere Erwartungen bis zur Vernachlässigungswunde zurückzuverfolgen, können wir uns ein Instrumentarium aneignen, das uns zu mehr Bewusstsein verhilft und ständig anwendbar ist.
Wir kommen an zwei Aufgaben und Herausforderungen des Lebens nicht vorbei. Erstens zu erkennen, dass jede Form von Liebeskummer, den wir gängigerweise im Außen festmachen, ist ein Liebeskummer mit uns selbst – und nur diesen können wir heilen lernen. Und zweitens die Tatsache des Alleinseins anzunehmen. Trobe nennt das „am Abgrund unserer Angst zu spielen“; nicht ein Alleinsein aus Isolation und Angst vor Nähe (dies sind wieder andere, eigene Themen!), sondern aus der Erkenntnis, dass es einfach unsere Natur ist, allein zu sein. Wir werden allein geboren, wir werden allein sterben. Allein sein heißt, sich immer wieder Zeiten zu schaffen, in denen wir uns selbst genügen und nichts auf andere projizieren in der Erwartung, dass sie uns einen vermeintlichen Mangel irgendwie erfüllen.



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