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21.08.2021

Was ist, was bleibt?


Die unterschiedlichen Lebensläufe der Menschen faszinieren mich. Und manchmal erschrecken sie mich. Das hat sich noch verstärkt, seit ich in einem Pflegeheim arbeite. Für die meisten ist das der letzte Wohnort auf dieser Welt in diesem Leben. Viele stellen sich dieser Tatsache und blicken dankbar auf ihre vielen Jahre zurück. Andere sind enttäuscht, unzufrieden mit sich selbst und anderen, desillusioniert, fühlen sich von ihren Angehörigen abgeschoben und verlassen. Es ist eben doch so: Spätestens im hohen Alter, wenn man nicht mehr „kann“, wenn Körper und Geist schwächer werden und man nicht mehr in der Lage ist, sich allein zu versorgen, spülen die unerlösten, verdrängten Seelenthemen aus der Tiefe wie aufgewühlte Wellen nach oben und können einen Menschen regelrecht überfluten. Unsere inneren Gedankengebäude, unsere Illusionsschlösser, oft auf dem sprichwörtlichen Sand gebaut, halten diesen Bewegungen nicht mehr stand. Wie ein Schiffsbrüchiger findet sich manch alter Mensch dann wieder, gestrandet am Ufer seines Lebens. Oft dazu auch noch seines Eigentums „beraubt“, denn in ein paar Quadratmeter Pflegeheimzimmer passt der frühere Hausstand nicht. Manch einer mag darüber sogar ganz froh sein, weil ihm all der Ballast sowieso zu viel geworden ist. Andere vermissen die ihnen so wichtigen Möbel oder Gegenstände.

Im Alter offenbart sich die Einzigartigkeit eines menschlichen Charakters für mich am eindringlichsten. Wer so lange lebt, über 80, 90 Jahre alt wird oder sogar noch mehr, der hat auf seinem Lebensweg einen reichen Erfahrungsschatz im Gepäck gesammelt. Manch einer stirbt auch nach 100 Jahren nicht, weil seine Zeit eben noch nicht gekommen ist. Andere sind körperlich gelähmt, aber der Verstand ist noch klar, bei wieder anderen haben sich durch Demenzen die Seelen schon ein Stück auf den Weg gemacht, während die körperlichen Hüllen noch „da“ sind.

Ruediger Dahlke, einer meiner Lehrer, erwähnt immer wieder den Satz: „Alle wollen heutzutage alt werden, aber keiner will alt sein.“ Und was heißt überhaupt „alt“? Nicht mal der Bruchteil eines Wimpernschlags sind 100 Menschenjahre angesichts der Menschheitsgeschichte.
Was bleibt am Ende? Solange wir „jung“ sind und uns gesundheitlich soweit wohl fühlen, denken wir über diese Frage kaum nach. Und nach-denken über etwas, was noch gar nicht gewesen ist, ist sowieso unmöglich. Wenn schon, dann würde der Ausdruck voraus-denken besser passen. Aber auch hier stoßen wir an Grenzen. John Lennon wird der Satz nachgesagt: „Leben ist das, was passiert, während du dabei bist, Pläne zu machen.“
Also sind wir wieder bei dem, was wir gestalten können, und zwar dem Einzigen, was wir gestalten können: den Moment. Der Moment, in dem uns manchmal die Größe, manchmal die Verletzlichkeit unseres Menschseins bewusst wird. Der Moment, in dem wir „hey, grüß dich“ sagen oder für immer „leb wohl“. Der Moment, in dem wir vor Glück die Welt umarmen könnten oder der, in dem uns das Leid den Atem raubt.
Wenn wir wachsen und reifen wollen, die Welt im Kleinen und im Großen verändern wollen, gibt es nie eine bessere Zeit als den Moment, das Jetzt. Egal, wie alt wir sind.



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